„Alles, was wir tun, ist, auf die Durchlaufzeit zu achten, und zwar von dem Moment an, in dem wir einen Kundenauftrag erhalten, bis zu dem Moment, da wir das Geld in Empfang nehmen. Wir verkürzen die Durchlaufzeit, indem wir alle Bestandteile eliminieren, die keinen Mehrwert generieren.“ Taiichi Ohno
„Nicht die Umstände bestimmen den Menschen, sondern der Mensch bestimmt die Umstände.“
— Epiktet
Das Gesundheitswesen steht am Limit.
Kliniken und Pflegeeinrichtungen kämpfen mit Fachkräftemangel, Kostendruck, Bürokratie und wachsender Komplexität. Viele reagieren mit mehr Kontrolle, mehr Regeln, mehr Tempo. Doch das ist wie Gasgeben im Leerlauf.
Was fehlt, ist Orientierung ein neues Führungsverständnis, das Sinn stiftet, den Menschen wieder in den Mittelpunkt setzt und das Systeme entlastet.
Genau hier setzt Lean Healthcare an.
Lean ist kein Toolkasten. Lean ist Haltung. Lean ist etwas Grundsätzliches, etwas, was zum Teil dem wiederspricht, was wir heute an den meisten Kliniken und Pflegeunternehmen erleben müssen.
Es geht nicht darum, schneller zu werden, sondern besser, besser für die Kunden und besser für die Mitarbeiter, die auch Kunden sind. Nicht um „mehr Effizienz“, sondern um Wertschöpfung für Patienten, Bewohner, Mitarbeitende und Organisationen.
In meiner Beratungspraxis sehe ich täglich, wie viel Energie, Kreativität und Engagement in Pflege und Medizin vorhanden sind aber oft in falsche Richtungen fließen. Lean hilft, diesen Fluss neu zu ordnen.
Buchempfehlung: „Lean Management in der Pflege“ von David Thiele

1. Lean ist kein Sparprogramm, sondern ein Wertprogramm
Viele assoziieren „Lean“ mit Kostensenkung. Doch wer Lean Healthcare versteht, erkennt: Es geht um Verschwendungsfreiheit, nicht um Ausbeutung.
Jede Minute, die eine Pflegekraft sucht, wartet oder doppelt/sinnlos dokumentiert, ist eine Minute ohne Wert für den Patienten.
Lean sagt: Lasst uns Prozesse so gestalten, dass Mitarbeitende wieder das tun können, wofür sie angetreten sind gute Pflege, gute Medizin, gute Menschlichkeit.
Das ist keine Technik. Das ist Respekt.
2. Führung heißt: Raum schaffen für Verbesserung
Lean-Führung beginnt nicht mit PowerPoint, sondern mit Präsenz.
Mit Gemba also dem Ort, wo Wert entsteht.
Wer führt, muss verstehen, wie Arbeit wirklich passiert: am Bett, im Dienstzimmer, im OP, in der Verwaltung.
Dort, wo Menschen mit Systemen ringen, liegt der Schlüssel zur Verbesserung. Wann hat ein Verwaltungsdirektor oder Controller, Finanzchef das letze mal im OP gestanden und beobachtet, dabei meine ich nicht oben oder hinter Glas, sondern direkt? Wann ist er in der Pflege, auf der Intensivstation oder in einer Pflegeeinrichtung mitgelaufen, hat Übergaben verfolgt, Hände gehalten und Gespräche geführt? Das meine geneigte Leser, dass ist Lean Healhcare.
Lean Leadership bedeutet: weniger Ansage, mehr Frage.
„Was hindert dich heute daran, gute Arbeit zu machen?“
Diese Frage verändert alles. Denn sie macht aus Führung/ Kontrolleuren, Lernbegleiter und aus Mitarbeitern aktive Gestalter. Aus betroffenen, Beteiligte!
Führung wird so zum Katalysator für Entwicklung nicht durch Druck, sondern durch Vertrauen.
3. Lean braucht Haltung, nicht Helden
Lean Healthcare ist nicht heroisch. Es braucht keine „Superhelden“, sondern Demut.
Die Demut anzuerkennen, dass Systeme komplex sind.
Und dass kein Mensch fehlerfrei arbeitet, wenn Prozesse fehleranfällig sind.
Lean fragt nicht: Wer hat es falsch gemacht?
Sondern: Warum ist es passiert?
Und wie können wir es künftig vermeiden?
Diese konsequent lösungsorientierte Haltung schafft psychologische Sicherheit, die Grundlage jeder lernenden Organisation.
4. Kaizen – der kleine Schritt als strategisches Prinzip
Viele Organisationen wollen „die große Transformation“. Doch wahre Veränderung geschieht nicht in Projekten, sondern in Routinen.
Im täglichen Verbesserungsdialog, im Kaizen-Gespräch, im kontinuierlichen Lernen.
Kaizen heißt: Jeden Tag ein bisschen besser. Sie kennen es auch unter der Begriff „Kontinuielicher-Verbesserungs-Prozess (KVP).
Diese Mentalität ist der Kern von Lean Healthcare und der Gegenentwurf zu hektischer Reorganisation.
Wenn Teams erleben, dass sie selbst Prozesse verändern dürfen, entsteht etwas Neues: Beteiligung statt Erschöpfung, Stolz statt Resignation.
Aus Angst wird Energie. Aus Routine wird Verantwortung.
5. Vom Reagieren zum Gestalten – Lean als Kultur
Lean Healthcare ist kein Prozessmodell, sondern eine Kulturfrage.
Es fordert eine radikale Umkehr: weg vom Problemdenken, hin zum Lern- und Lösungsdenken.
Das beginnt bei Führungskräften.
Wer Lean ernst nimmt, verändert zuerst sich selbst, seine Sprache, seine Haltung, seinen Blick auf Verantwortung.
In meinen Workshops mit Leitungsteams und Trägern erlebe ich immer wieder diesen Aha-Moment:
Wenn plötzlich klar wird, dass „Verbesserung“ nicht von außen kommt, sondern von innen wächst.
Dass echte Effizienz aus Sinn, Struktur und Vertrauen entsteht.
Und dass Kulturwandel kein Zufall ist sondern Führungsarbeit, eben echtes New Leadership. Diese beiden Haltungen gehören zusammen, sie sind unlösbar miteinander verbunden.
6. Lean Healthcare in der Praxis – weniger Druck, mehr Flow
Wie sieht das konkret aus?
- Für Lean-Healthcare gibt es essentiell wichtigste Fragen, wofür ist der Kunde bereit zu bezahlen? Was dient dem Kunden und nicht dem System? Wo hat der Kunde seinen „Schmerz“?
- Prozesse und Menschen werden im Fluss gesehen. Ein Stück weit wie im Taoismus, alles befindet sich im Fluss. Er kann gestört werden oder frei und natürlich fließen. Wird ein Fluss aufgehalten oder behindert, wird Energie gebraucht um das Hinderniss zu überwinden, Energie, die für etwas anderes genutzt werden könnte. Energie ist Geld, menschliche Ressourcen oder eben beides.
- 5S im Stationsalltag: Material ist logisch geordnet, Wege sind klar, alles hat seinen Platz.
- Wertstromanalyse im Aufnahmeprozess: Wartezeiten und Brüche werden sichtbar und bearbeitbar.
- PDCA im Qualitätsmanagement: Aus Kontrolle wird Entwicklung.
- Gemba Walks für Führung: Entscheidungen entstehen am Ort des Geschehens datenbasiert und menschennah.
- Aus Fehlern werden Störungen. Alles was den „Flow“ behindert, ist eine Störung, nicht mehr und nicht weniger.
Das Ergebnis:
Mehr Struktur, weniger Chaos.
Mehr Zufriedenheit, weniger Stress.
Mehr Zeit am Bewohner/Patienten, weniger Energieverlust im System.
Lean Healthcare ist der Weg vom „Feuerlöschen“ zum Flussdenken vom Reagieren zum Gestalten.
7. Warum Lean zur Haltung der Zukunft wird
Wir stehen an einem Wendepunkt.
Demografischer Wandel, Digitalisierung, Fachkräftemangel, das System kann nicht länger mit alten Methoden geführt werden. Das fühlen, sehen und merken wir alle. Egal wer mir seine Erlebnisse im Krankenhaus berichtet, ob als Mitarbeiter oder Betroffener, es ist menschenunwürdig und nicht selten traumatisch.
Lean Healthcare ist die Brücke zwischen Wirtschaftlichkeit und Menschlichkeit.
Es zeigt: Exzellenz entsteht nicht durch Druck, sondern durch Sinn und Beteiligung.
Das Gesundheitswesen der Zukunft braucht keine Helden, sondern Menschen, die lernen wollen.
Führung, die Vertrauen gibt.
Organisationen, die zuhören.
Und Systeme, die atmen können.
„Lean ist die Kunst, das Wesentliche zu erkennen und das Unwesentliche loszulassen.“
— David Thiele, ThieleBeratung
8. Verschwendung und falsche Anreizsysteme sind der erklärte Gegener des Lean-Healthcare
Grundsatz: Alles worfür der Kunde nicht bezahlt, ist Verschwendung!
Diese Haltung macht es erst richtig möglich, zu erkennen, dass streng genommen die meisten Handgriffe, Tätigkeiten, Besprechungen, Abstimmungen in unserem Kranken- und Pflegesystem Verschwenung sind. Für viele der Tätigkeiten ist bzw. wäre der Kunde nicht bereit zu bezahlen.
Anmerkungen: Das trifft übrigens nicht nur auf das Gesundheits- und Soziasystem zu.
Deshalb beginnt jeder Lean-Healthcare-Weg mit dem bewusst- und sichtbarmachen von echten Wertströmen. Wie strömt der Wert, der Arbeit, Leistung durch den Prozess, dass Unternehmen. Dabei fällt erst richtig auf, für was alles kein Geld bezahlt wird, sondern was das Unternehmen Geld kostet. Das beginnt bei den sogenannten Organisationskosten, geht zu den Material- bzw. Sachkosten und hört nicht bei den Personalkosten auf. Plötzlich wird eine wertschöpfende Tätigkeit von der nichtwertschöpfenden Tätigkeit isoliert und damit erst richtig sichtbar.
Lean-Healthcare braucht aber auch Systeme, die keine Anrzeige für Gewinnmaximierung durch sinnlose, nicht dienende Prozesse geben. Stichwort: Einnahmen durch Entbindung auf natürliche Art und Einnahmen durch Kaiserschnitt. Und so weiter und so weiter.
Fazit:
Lean Healthcare ist mehr als Prozessoptimierung, es ist eine Haltung, die Führung, Kultur und Qualität neu verbindet.
Wer diese Haltung entwickelt, baut keine Hierarchien ab, sondern Sinn auf.
Denn in einer Zeit, in der viele Systeme am Limit laufen, brauchen wir keine noch schnelleren Abläufe
wir brauchen bessere, bewusstere, verschwendungsminimiertere und menschlichere.
Anmerkung 1: In Deutschland ist dieses Thema noch völlig am Anfang. Erste Ansätze werden von Leadern und Managern gedacht und zögerlich umgesetzt. In der Schweiz ist man da schon etwas weiter. Da gibt es Gesundheitsstudiengänge, die sich mit Lean Management beschäftigen. In meiner Zusammenarbeit mit Herrn Prof. Angerer von der Hochschule in Wintertur (ZHAW School of Management and Law Wintertur Schweiz) eröffnen sich mehr und mehr sinnvolle Wege, diesen Weg auch in Deutschland zu gehen.

Anmerkung 2: Am 7.11.-8.11.25 findet in Hamburg der 23. Gesundheitspflege Kongress von Springer Pflege statt. Dort werde ich am 8.11.25 einen Vortrag über Lean Healthcare halten. Sie sehen, es beginnt!
