Von Outputs zu Outcomes – Warum Pflege mehr ist als Dienstleistung
Ein sauber ausgefüllter Medikamentenplan ist ein Output. Ein alter Mensch, der plötzlich wieder angstfrei durchschläft, weil er sich sicher fühlt, ist ein Outcome. Genau hier schlägt das Herz des SROI: Wir schalten den Scheinwerfer vom „Was tun wir?“ auf „Was bewirken wir?„. In der Pflege landet diese Frage unweigerlich bei uns, der Gesellschaft. Jede Stunde, die eine Pflegekraft fürs Mobilitätstraining statt für Bürokratie freispielt, spart langfristig Reha-Kosten, entlastet Hausärzte und bedeutet für die Nachbarschaft weniger Einsamkeit vor der Haustür. Jeden Monat, den zum Beispiel PeBeM umgesetzt werden kann, weil ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden würden, wäre ein absoluter Gewinn für die Mitarbeiter und damit auch für die Bewohner. Jedoch, diese Ressourcen werden nicht zur verfügung gestellt. Die Mehrkosten für Digitalisierung müssen überwiegend von den Trägern, die ohnehin kaum Geld verdienen, getragen werden.
Monetarisierung der Wirkung – Euro für Empathie?
Klingt schräg, muss aber sein. Die Regel lautet: Keine Zahl = kein Argument. Also stapeln wir gepflegt:
- Reduzierte Klinikwiedereinweisungen → durchschnittliche Kosten × Statistischer Rückgang.
- Entlastete Angehörige → geringerer Präsentismus im Job → Produktivitätsgewinn.
- Längeres selbstbestimmtes Wohnen → spätere Heimaufnahme → Ersparnis für Kommunen.
Natürlich bleibt Wertschätzung unbezahlbar. Doch solange Haushaltsausschüsse in Tabellen denken und unqualifizierte Politiker die Entscheidungen treffen, übersetzen wir Lebensqualität in Euro, um Budgets dorthin zu lenken, wo sie den vermeindlich höchsten Multiplikator zünden. Das dem nicht so ist, kann jeder echte Fachmann in der Pflege sehr schnell merken bzw. merkt es schon lange.
Impact festzurren – Opportunität, Attribution, Drop-Off
Jetzt wird’s detektivisch.
- Opportunität: Wie viel wäre sowieso passiert? Beispiel: Die neue Sturzprophylaxe senkt Frakturen um 30 %. Statistiker sagen: 10 % Rückgang wäre der generelle Trend also bleiben 20 % echte Wirkung mit massiven (positiven) Auswirkungen auf das Krankenversicherungssystem.
- Attribution: Wer hat mitgeholfen? Die Physiopraxis um die Ecke? Dann teilen wir den Kuchen gerecht. Hier lautet das Stichwort effektive Prävention.
- Drop-Off: Hält der Effekt oder flacht er ab? Wir diskontieren jährlich, um nicht in Schönrechnerei zu verfallen.
So wird aus einer anfänglichen Euphorie eine belastbare Zahl, die selbst kritische Controller überzeugt.
Der SROI-Quotient – Kassensturz mit Aha-Effekt
Der SROI-Quotient (Social Return on Investment) zeigt, welchen sozialen Mehrwert ein Projekt im Verhältnis zu den eingesetzten Mitteln erzielt. Er macht sichtbar, wie viel gesellschaftlicher Nutzen pro investiertem Euro entsteht. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Gewinne, sondern auch um soziale, ökologische oder kulturelle Wirkungen. Besonders gemeinnützige Organisationen nutzen den SROI, um ihre Wirkung messbar und nachvollziehbar darzustellen. Ein SROI von 3:1 bedeutet zum Beispiel, dass jeder investierte Euro einen dreifachen gesellschaftlichen Nutzen erzeugt hat. Das sorgt häufig für einen echten Aha-Effekt bei Förderern und Entscheidungsträgern. Der Quotient fördert Transparenz, stärkt Vertrauen und hilft bei der strategischen Weiterentwicklung von Projekten. So wird der Kassensturz zur wertvollen Erkenntnisquelle weit über die Zahlen hinaus. Leider sitzt an dieser Stelle auch der Mißbrauch von Sozialleistungen mit im Boot. Das Schönrechnen und das erklären von unentbehlrichkeit sind genau diesen Dienstleistern, wie oben beschrieben, inhärent. Aus diesem Grund muss die Sachbezogenheit und der wirkliche Nutzen effizient gemessen und nachverfolgt werden. Das kann sehr gut in Zukunft KI übernehmen. Denn hier geht es nicht um Emotionalitäten, sondern um Steuergelder, die verantwortlich genutzt und nicht mißbraucht werden sollten.
Digitale Hebel – von der Datenwüste zur Wirkungs-Oase
Wer Wirkungen messen will, braucht Datenströme statt Datenstaub. Digitale Pflegeakte, Wearables, KI-gestützte Sturzsensorik, sie liefern Echtzeitindikatoren, die den SROI lebendig halten. Wichtig: nicht Technik um der Technik willen, sondern Technik als Türöffner für Wirktransparenz. So wird aus jeder Pflegeminute ein Datumsstempel für zukünftige Argumente im Rathaus. Wichtigster Outcome aus der Digitalisierung ist für mich persönlich die echte Einbindung aller am Prozess beteiligten. Das sind für mich vor allem die Angehörigen. Sie müssen in Echtzeit in den Pflege- und Lebensprozess ihrer pflegebedürftigen Angehörigen eingebunden werden.
Stakeholder-Choreografie – Alle an einen Tisch
Pflegebedürftige moderieren vielleicht keinen Workshop, doch ihre Stimme zählt. Ein monatlicher „Rund-ums-Bett-Dialog“ offenbart, was in keiner Akte steht: die feinen Veränderungen im Wohlbefinden. Angehörige liefern Insights zu Stresslevel und Arbeitsausfall, Kommunen steuern Statistikpower bei, Krankenkassen Evidenz. SROI ist Teamsport, und je diverser das Team, desto robuster die Metrik. Das ganze kann duraus auch digital passieren.
Praxisbeispiel „Quartierspflege 4.0“
Setting: Ein Stadtviertel mit hohem Altersdurchschnitt, viel Leerstand in Erdgeschossläden.
Maßnahmen: Pflegeberatungs-Pop-Up, Senioren-Café, digitales Nachbarschaftsnetzwerk, mobiles Physio-Bike.
Ergebnis nach 18 Monaten:
- 25 % weniger Notfalleinweisungen ➜ jährliche Gesundheitssystem-Ersparnis: ≈ 260 000 €.
- 6 Leerstände umgewidmet ➜ Sicherheitsgefühl ↑, Immobilienwert ↑.
- 1400 zusätzliche Nachbarschaftskontakte ➜ gemessene Einsamkeit halbiert.
- SROI: 4,2. Jeder Projekt-Euro generiert über vier Euro gesellschaftlichen Wert.
Der Clou: Weil sich Ladenmieten stabilisierten, floss Gewerbesteuer zurück ins Quartier der Kreislauf der Wertschöpfung schloss sich.
Der Fakt ist, es muss zunächst in das Konzept und die ehrliche Umnsetzung investiert werden, bevor ein Outcome zu messen ist.
Roadmap für Pflegeeinrichtungen
- Mini-Pilot starten, lieber ein klar umrissenes Modul (z. B. Dekubitusprävention) als gleich die ganze Einrichtung.
- Wirkungsindikatoren definieren, klinisch (z. B. Wundheilung), persönlich (Lebenszufriedenheit), ökonomisch (Kostenträger-Sicht).
- Digitale Tools verankern von der App für Vitalzeichen bis zur automatisierten Befragung. Jedoch am wichtigsten, die digitale und physische Einbeziehung der Angehörigen in Echtzeit! (Erster kleiner Ansatz: Stambulant)
- SROI-Review nach 6 Monaten erste Ergebnisse veröffentlichen, Stakeholder einbinden, Kurs nachjustieren.
- Skalieren & Storytelling – Zahlen sind das Fundament, Geschichten das Megafon. Je greifbarer die Wirkung, desto größer die gesellschaftliche Rückendeckung.
Warum die Gesellschaft profitiert
Pflege ist gesellschaftliche Daseinsvorsorge. Jeder SROI-Punkt demonstriert, dass Investitionen in Betreuung, Prävention und Teilhabe mehr Rendite abwerfen als jede Sparkonten-Zinsgutschrift, nur eben nicht allein in Euro, sondern auch in Würde, Gesundheit und Zusammenhalt. Je transparenter dieser Mehrwert, desto leichter lassen sich Ko-Finanzierungen erschließen: Impact-Investor, öffentliche Fördertöpfe, Sozialanleihen. Pflege wird zur Zukunftsdividende für alle.
Wertschöpfung durch Sozialraumkonzepte
Ich möchte nochmals auf die Bedeutung von Sozialraumentwicklung eingehen. Wenn pflegebedrüftige gut und sinnvoll versorgt sind, können die Angehörigen durch Arbeit ihren Beitrag an der Gesellschaft erhalten. So können Arbeitskräfte weiterhin ihrer Tätigkeit nachgehen. Das hat dann auch eine steuerliche Auswirkung auf die Einnahmen der Gesellschaft.
Fazit – Vom Kostentreiber zum Impact-Champion
Überhaupt dieses Thema so ausführen zu müssen, beschämt mich sehr. Es sollte, wie in vergangenen Zeiten auch, eine Selbstverständlichkeit sein, dass Pflege, Kindererziehung und Gesundheitsversorgung Priorität 1 in der Gesellschaft haben. Vor Militär, Politik und u.a. Radwegen in Peru. Wir haben unseren sozialen und politischen Kompass verloren und zwar mit unserem Gewissen zusammen. Finden wir das nicht wieder und nehmen unsere Werte, Kultur und Identität als Gemeinschaft wieder ernst, dann ist es ohnehin egal. Wir werden es so nicht hinbekommen.
Wer Pflege ausschließlich als Kostenstelle sieht, fährt mit angezogener Handbremse in die demografische Kurve. Der Social Return on Investment löst diese Bremse: Er macht sichtbar, dass gute Pflege ein gesamtgesellschaftlicher Gewinnbringer ist messbar, nachvollziehbar, skalierbar. Jede Einrichtung und jeder Träger, die den SROI ernst nimmt, knüpft damit ein Sicherheitsnetz, das weiter reicht als das eigene Budget, es trägt Familien, Nachbarschaften und letztlich die Wirtschaft.
Kurzum: SROI haucht der Pflege eine neue Währung ein: Wirkungskraft. Wer sie clever einsetzt, schreibt nicht nur schwarze Zahlen, sondern auch Zukunftsgeschichte.