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Werte – Das Rückgrat unserer Gesellschaft 7. Teil

Toleranz – der unterschätzte Muskel unserer Gesellschaft

Toleranz heißt: die Fehler der anderen entschuldigen. Takt heißt: sie nicht bemerken.    Arthur Schnitzler

Vorbemerkung: Ich weiß nicht, welcher Kobold uns gerade reitet, jedoch, ich sehe mich genötigt, diesen Blogbeitrag über Toleranz zu schreiben, obwohl diese in den letzten 70 Jahren eigentlich selbstverständlich war. Heute ist sie das nicht mehr. Wir sind keine  tolerante Gesellschaft mehr, Toleranz ist einer faulen, fetten, feisten Gleichgültigkeit gewichen, die von dekadenten, gesellschaftsfremden und leistungsfernen Menschen mit Füßen getreten wird. Die stille Masse schaut zu und denkt noch immer, das hat mit mir nichts zu tun und ich kann sowieso nichts ändern. Fatal, wie wir alle aus der Geschichte wissen!

Toleranz klingt erstmal weich. Nach Regenbogenfahne, Peace-Zeichen und einer Prise Weltfrieden. Doch in Wahrheit ist Toleranz ein ziemlich harter Muskel, den man trainieren muss. Sie ist keine nette Beigabe, sondern ein Grundpfeiler jeder funktionierenden Gemeinschaft. Ohne sie würden wir uns im Dauerclinch aufreiben in der Politik, im Alltag, in der Familie.

Ohne Toleranz verkommt unsere Gesellschaft mehr und mehr zu einer Form des Zusammenlebens, die eher einem Diktat einzelner Meinungen gleicht, als einer reifen Demokratie.

Dieser Muskel ist zur Zeit völlig erschlafft, er ist, nach meiner Meinung, der Gleichgültigkeit erlegen.

Was Toleranz wirklich bedeutet

Oft wird Toleranz in unserer Gesellschaft mit Gleichgültigkeit verwechselt: „Soll doch jeder machen, was er will, geht mich nichts an.“ Doch echte Toleranz ist das Gegenteil von Desinteresse bzw. Gleichgültigkeit. Sie bedeutet, bewusst Unterschiede auszuhalten, auch wenn sie anstrengend sind und sie bedeutet vor allem Grenzen zu setzen. Grenzen des akzeptierbaren und des allgemein dienlichen. Ganz deutlich möchte ich an dieser Stelle einmal klar machen, die Grenzen in unserer Gesellschaft steckt ausschließlich das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Was diesem Gesetz entspricht, ist Demokratie in unsererm Sinne. Alle anderen Kunstbegriffe, wie „Demokratische Mitte“, „Mitte der Gesellschaft“, „Zivilgesellschaft“ und viele mehr, haben nichts mit Demokratie, Toleranz und vor allem nichts mit diesem Gesetz gemein.

Der Philosoph Voltaire schrieb: „Daß ich mit dem, was Sie sagen, nicht einverstanden bin, werde ich Ihnen niemals verhehlen; aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, daß Sie es sagen dürfen.“
Dieser, von mir oft zitierte, Satz bringt den Kern von Demokratie und damit Toleranz auf den Punkt: Toleranz heißt nicht Zustimmung, sondern Respekt vor der Andersartigkeit des anderen. Etwas, was meiner Meinung nach mehr und mehr verloren geht und was es gilt mit aller Kraft zu erhalten.

Toleranz im Alltag – kleiner Blick in die Realität

  • Im Straßenverkehr: Der eine fährt stoisch 100 auf der Landstraße, der andere hängt schon mit Lichthupe im Rückspiegel. Toleranz bedeutet hier, nicht sofort in die innere Raserei zu verfallen.
  • Im Büro: Der Kollege trinkt Filterkaffee wie in den 80ern, während man selbst auf Barista-Single-Origin-Espresso schwört. Toleranz heißt, ihn nicht heimlich für rückständig zu halten, sondern die Unterschiedlichkeit zu akzeptieren.
  • In der Familie: Kinder haben andere Werte als Eltern. Eltern haben andere Werte als Großeltern. Toleranz ist hier der Klebstoff, der Generationen trotz Reibung zusammenhält.
  • Meinung werden nicht mehr zugelassen und im Diskurs ausgehalten, sonder aktiv unterdrückt, siehe Brandmauern und Anschläge gegen Andersdenkende.

Der Unterschied zwischen Toleranz und Beliebigkeit

Toleranz bedeutet nicht, dass alles gleich gut ist. Sie ist kein „Anything goes“. Sie braucht Grenzen. Wenn jemand die Freiheit des anderen verletzt, kippt Toleranz in eine Form des Diktates. Schon Immanuel Kant mahnte: „Die Freiheit des einen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.“, ein für mich essentieller Grundsatz von Demokratie und Tolerenz.
Damit ist klar: Toleranz heißt nicht, dass alles erlaubt ist, sondern dass man Vielfalt anerkennt, solange sie nicht zerstörerisch, diktierend und Meinungsinterllerant wird.

Warum Toleranz unbequem ist

Toleranz kratzt am eigenen Ego. Sie zwingt uns, die innere Komfortzone zu verlassen. Es ist leicht, tolerant zu sein, solange der andere in etwa so denkt wie wir. Die Probe aufs Exempel kommt erst, wenn wir auf Meinungen stoßen, die uns quer im Hals liegen.

Die Psychologie spricht hier vom „Bestätigungsfehler“: Wir suchen automatisch nach Informationen, die unsere Sicht stützen. Toleranz verlangt, genau diesen Reflex zu durchbrechen und zuzuhören, auch wenn es unangenehm wird.

Toleranz als Gesellschaftsmotor

Gesellschaft ist kein Kuschelclub. Sie ist eine Arena, in der Ideen, Interessen und Lebensstile aufeinandertreffen. Ohne Toleranz würden wir in lauter Feindbilder zerfallen.
Der römische Kaiser Marcus Aurelius schrieb in seinen „Selbstbetrachtungen“: „Wenn du am Morgen erwachst, denke daran: Heute wirst du einem Schwätzer, einem Undankbaren, einem Anmaßenden, einem Betrüger, einem Neider, einem Unsozialen begegnen. Aber sie können mich nicht schädigen.“
Auch das ist Toleranz: die Haltung, andere in ihrer vermeindlichen Unvollkommenheit zu ertragen, ohne sich selbst vergiften zu lassen. Denn machen wir uns nichts vor, wir alle neigen zu Intolleranz, dazu zu denken, dass wir absolut richtig liegen und der andere falsch.

Ich halte hier in aller Deutlichkeit fest, der Andere, gleich welcher Meinung, liegt nicht falsch, er liegt anders. Er hat einen anderen, zu tolerierenden, Blick auf den gleichen Spiegel unserer Gemeinschaft.

Toleranz trainieren – ein praktischer Blick

Toleranz wächst nicht von selbst. Sie braucht Übung. Drei einfache Trainingsfelder:

  1. Zuhören ohne sofort zu bewerten. Statt schon beim ersten Satz die Gegenargumente zu laden, einfach mal den ganzen Gedanken des anderen durchlaufen lassen. Der Diskurs auf offener Bühne ist das einzige Mittel, Argumente gegeneinander abzuwägen. Nur in der Arena der Demokratie lebt eine wirklich reife Gesellschaft. Dafür braucht es, ich schrieb in meinem vorhergehenden Blockbeitrag (über das Verstehen) darüber, reife, intelligente und bewusste erwachsene Demokraten.
  2. Kleine Irritationen bewusst aushalten. Im Restaurant das Gericht probieren, das man nie nehmen würde. Beim Gesprächspartner den Dialekt nicht belächeln, sondern als Farbe der Vielfalt sehen oder eben auch die komplett andere Sichtweise tollerieren.
  3. Grenzen klar ziehen. Wer tolerant sein will, muss auch sagen können: „Bis hierher, für mich, und nicht weiter.“ Gerade dadurch bleibt Toleranz glaubwürdig und noch einmal, die Grenzen ziehen nicht Parteien, Personen oder Minderheiten, sondern einzig und allein der justiziable Rahmen. Deutungen, Meinungen oder Sichtweisen haben hier keinen Belang.
Über das „Verstehen“ und das es „erwachsene“ Menschen in der Politik braucht.

Der Wert für die Zukunft

Wir leben in einer Welt, die immer schneller, diverser und komplexer wird. Migration, Digitalisierung, Generationenkonflikte (Generation Z), alles Themen, die nur mit Toleranz lösbar sind. Ohne sie würden wir in Shitstorms, Cancel-Culture und Parallelwelten und am Ende Krieg versinken. Mit ihr können wir Brücken bauen, wo sonst nur Mauern stehen.

Nietzsche schrieb einmal: „Es gibt kein größeres Maß von Stärke, als das, was man an seiner Toleranz misst.“ Vielleicht ist das die wichtigste Botschaft: Toleranz ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von klare Grenzen setzender Stärke. Sie ist ein stiller Muskel, der Gesellschaften stabil macht.

Fazit

Toleranz ist kein Luxus und kein Kuschelwort. Sie ist das Fundament, auf dem wir Vielfalt überhaupt erst leben können. Wer Toleranz ernst nimmt, beweist innere Größe. Wer sie ablehnt, verliert nicht nur an Menschlichkeit, sondern auch an Zukunftsfähigkeit.

Und vielleicht gilt am Ende ein einfacher Satz als Leitlinie:
Toleranz bedeutet, die Welt so bunt zu lassen, wie sie ist ohne sich selbst dabei zu verlieren und ohne dabei Toleranz mit Gleichgültigkeit zu verwechseln!