Es gibt Dinge im deutschen Pflegesystem, die sind so absurd, dass man sie eigentlich als Satire verkaufen könnte. Doch leider sind sie Realität. Einer dieser grotesken Missstände ist der Verhandlungskreislauf der Pflegesätze, der jedes Jahr tausende Stunden, Millionen an Bürokratiekosten und Unmengen an Nerven verschlingt – ohne irgendeinen Mehrwert. Gar keinen.
Wir reden über Pflegedienste, die im selben Ort, im selben Kreis, manchmal sogar in derselben Straße liegen und dennoch völlig unterschiedliche Pflegesätze haben. Obwohl sie mit denselben Herausforderungen kämpfen: Personalkosten, die durch Tarifbindung oder §82c SGB XI vorgegeben sind. Dieselben Spritpreise, dieselben Autokosten, Diesel, Reifen, Wartung. Dieselben Bürokratieanforderungen. Dieselben gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und trotzdem müssen diese Unternehmen so tun, als gäbe es hier individuelle Spielräume, über die man stundenlang verhandeln müsste.
Was genau verhandeln wir da eigentlich?
Wind? Schatten? Fiktionen?
Denn faktisch ist es einfach:
Die Kosten sind gleich und trotzdem verhandelt jeder Träger für sich.
Das wäre so, als müsste jeder Bäcker die Mehlpreise mit dem Lieferanten individuell aushandeln, obwohl der Preis längst feststeht. Ein ökonomischer Schildbürgerstreich. Und wir machen ihn jedes Jahr wieder.
Die Kassen sitzen am Tisch, die Träger sitzen am Tisch, beide Seiten wissen, dass die relevanten Kostentreiber normiert, gedeckelt oder gesetzlich definiert sind. Trotzdem werden PowerPoints gebaut, Tabellen geschoben, Sachkosten aufgebläht und wieder zusammengestrichen, Verhandlungstermine angesetzt, Gutachten geschrieben, Schriftsätze ausgetauscht ein Ritual ohne Wert. Ein Tanz, bei dem alle wissen, dass er nichts bringt. Doch keiner bricht ihn ab.
Und wer bezahlt diesen Unsinn?
Der Pflegebedürftige.
Der Steuerzahler.
Das System, das längst am Limit ist und darüber hinaus.
Wenn man die Branche ehrlich fragt, bekommt man hinter vorgehaltener Hand immer dieselbe Antwort:
„Diese Verhandlungen sind reine Zeitverschwendung. Wir machen es nur, weil es so vorgeschrieben ist.“
Und auch die Krankenkassen sagen:
„Wir verhandeln nur, weil wir verhandeln müssen.“
Das Ganze ist also kein Wettbewerb, keine Qualitätssteuerung, kein intelligenter Steuerungsmechanismus. Es ist eine bürokratische Endlosschleife, eine Art Beschäftigungsmaßnahme für Sachbearbeiter, die niemand braucht. Das Traurige: Würden die Pflegesätze zentral und transparent auf Basis realer Kosten definiert, könnte man 70–80 % dieser Verhandlungsprozesse sofort ersatzlos streichen.
Man würde Zeit sparen.
Man würde Geld sparen.
Man würde Nerven sparen.
Und man würde tatsächlich etwas Sinnvolles für die Pflege tun.
Die Wahrheit ist unbequem, aber simpel:
Wir leisten uns ein teures Systemtheater, das keinerlei Nutzen stiftet.
Pflegedienste wissen, was ihre Sachkosten sind. Sie wissen, was sie ihren Mitarbeitern zahlen müssen. Die Kostenträger wissen es ebenfalls. Und trotzdem führen wir Jahr für Jahr „Verhandlungen“ über längst entscheidbare Zahlen. Es ist eine Farce und die Branche hat sich an diese Farce so sehr gewöhnt, dass sie sie für normal hält.
Doch es ist nicht normal.
Es ist schlicht ineffizient.
Und ineffizient heißt in der Pflege immer: teuer.
Es wird Zeit, dass wir diesen bürokratischen Nebel durchschneiden und das System auf die Realität zurückführen. Ein einheitliches, transparentes, digital kalkuliertes Modell würde reichen. Keine Ritualverhandlungen, keine endlosen Termine, kein Kleinklein. Nur eine klare, nachvollziehbare Kostenermittlung, die für alle gilt.
Solange wir aber weiter so tun, als wären Pflegedienste im gleichen Ort wirtschaftlich völlig verschieden, solange werden wir Milliarden verbrennen – und uns am Ende wundern, warum die Pflege unbezahlbar wird.
Der Pflegeverhandlungsschwachsinn gehört zu den Dingen, die man für immer beenden könnte.
Man müsste nur den Mut haben, es zu tun.