Von David Thiele
Gehen wir allein davon aus, dass Liberalismus, nach Aussage von Immanuel Kant, auch für die Freiheit zur Verwirklichung steht, so haben wir den Gipfel selbiger erreicht. Vor allem im Bereich der Pflege fällt uns dieser freiheitliche Verwirklichungsgedanke jetzt Stück für Stück auf die Füße. So hat sich nicht nur jedes der 16 Bundesländer die Freiheit der diversifizierten Denk- und Handlungsweise gegönnt, sondern dazu noch jede der zuständigen Kranken- und Pflegekassen sowie der Heimaufsichtsbehörden. Land auf Land ab sehen wir eine vollkommene Uneinheitlichkeit, wo Einheitlichkeit auf hohem Niveau, aus Praktikersicht, ein Segen wäre. So viele, mehr oder weniger wichtige Menschen, die Pflege weder erlebt noch gehandhabt haben, wollen ihr unbestritten aller Bestes tun und haben über die Jahre hinweg ein Monstrum an Uneinheitlichkeit, Undurchblickbarkeit und Destruktuvismus geschaffen.
Die Menschen, die am Bett stehen und Tag für Tag nicht ihr Bestes sondern ihr absolutes Maximum geben, sind schon lange abgehängt worden.
Liberalismus um jeden Preis? Liberalismus auf Kosten der mehr als 1 Million Pflegekräfte in Deutschland? Liberalismus auf Kosten der mehr als 3,5 Millionen pflegebedürftigen Menschen? Warum? Wozu?
Aus meiner Sicht ist kein Mehrwert darin zu erkennen. Im Gegenteil wir zerteilen unsere Kräfte an Stellen, wo wir sie so dringend für die Menschen vereint benötigen würden. Einheitlichkeit (Zentralismus) kann auch ein Segen sein!
Die Studien mit Ihren Zahlen, Daten und Fakten sprechen eine für Alle sichtbare und eindeutige Sprache. Jedoch die Konsequenzen, die aus den Daten wie Fluktuationsquote, Arbeitsunfähigkeiten, Verbleibequote etc. gezogen werden, sind nicht die Richtigen. Die Probleme und Nöte, die durch eben diese alarmierenden Zahlen ihre hässliche Fratze zeigen, werden nicht kausal angepackt sondern Herumlaborieren an den Symptomen ist an der Tagesordnung.
Der eigentliche Patient ist nicht die Pflegekraft oder das Unternehmen, sondern das System an sich. Wo zentrale Regulierung sinnvoll erscheint, existiert sie nicht und wo gelenkte Diversifizierung die logische Konsequenz einer entwickelten Gesellschaft sein könnte, sehen wir Chaos und streckenweise Profitstreben.
Es ist an der Zeit, die Dinge zentral zu regeln, die zentral geregelt werden sollten und die Dinge dezentral zu vereinfachen, die bereits heute so komplex sind, dass nur noch wenige diese wirklich verstehen.
Die Möglichkeit in der Krise besteht eindeutig !jetzt! dazu. Mittlerweile sehen wir, dass noch nicht einmal mehr die einzelnen Bundesländer einheitliche Pflegeschlüssel vorzuweisen haben. Die Pflegeschlüssel sind so verschieden, wie es unterschiedliche Dienstleister gibt. Die Möglichkeiten der Akteure, Krankenkassen, Sozialhilfeträger und Unternehmen sind dabei so vielfältig, dass die bei der Lösung dieser alltäglichen Aufgabe eingesetzten personellen und am Ende finanziellen Ressourcen eine Dimension angenommen haben, die ein „normales“ Maß längst überschreitet.
Und so sehen wir Jahr für Jahr den Kampf der Interessen. Kranken- und Pflegekassen gegen Dienstleister; möglichst preiswert und hochwertig gegen möglichst effizient und so weit wie möglich menschenwürdig. Das Ziel ist bei beiden Parteien in diesem ewigen Kampf das gleiche:
Mit möglichst minimalen Mitteln einen maximalen Nutzen erzielen.
Dazwischen stehen, Sie ahnen es, die Pflegekräfte. Die Menschen, die jetzt klatschen, klatschen für den Idealismus und die soziale Kompetenz, oder klatschen für oder besser gegen ihr schlechtes Gewissen. Dabei beginnt Helfen nicht am Bett, sondern bei der verbindlichen Definition von Bedingungen, die das Leben ((Work-)Life Balance) lebenswert machen. Eigentlich Selbstverständlichkeiten, die in der Pflege als Neuerungen erkämpft werden müssen.
Traurig aber wahr!