Du betrachtest gerade Stagflation in Deutschland – und warum die Pflege jetzt auf der Kippe steht -Teil 2-

Stagflation in Deutschland – und warum die Pflege jetzt auf der Kippe steht -Teil 2-

Von David Thiele

Stagflation. Ein sperriges Wort, das nach Fachchinesisch klingt, aber für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland zunehmend zur realen Bedrohung wird. Keine Wachstumsperspektive, aber steigende Preise, das ist die gefährliche Mischung, mit der sich Unternehmen, Politik und nich nur soziale Einrichtungen derzeit herumschlagen müssen. Besonders dramatisch trifft es dabei einen Bereich, der ohnehin seit Jahren auf ruinösen Verschleiß fährt: die Pflege.

Was bedeutet Stagflation überhaupt?

Normalerweise gilt: Wenn die Preise steigen (Inflation), brummt die Wirtschaft. Es gibt Aufträge, Investitionen, Jobs. Doch bei der Stagflation ist genau das Gegenteil der Fall: Die Konjunktur stagniert oder schrumpft sogar, während die Preise trotzdem weiter klettern. Für Unternehmen und Haushalte bedeutet das: Kosten rauf, Einnahmen runter. Eine hochgefährliche Situation auch, weil die klassischen Gegenmittel (z. B. Zinserhöhungen) das Wachstum zusätzlich dämpfen.

Seit 2022 befindet sich Deutschland in genau diesem Fahrwasser. Energie- und Rohstoffpreise sind explodiert, die Nachfrage geht zurück, das Konsumklima ist angespannt. Und mitten in diesem Sturm: die ohnehin schon überlastete Pflegebranche. Das dieses Drama bereits 2009 begonnen hat und nur mit dramatischer Geldmegenmehrung aufgeschoben worden ist, wollen wir hier und heute nicht vertiefen.

Fakt ist, wir erleben, nach meiner Auffassung, eine echte Stagflation und nicht nur eine normale Rezession.

Schaubild zur Stagflation

Was bedeutet das konkret für die Pflege?

1. Steigende Betriebskosten – gedeckelte Einnahmen

Pflegeeinrichtungen sind keine klassischen Wirtschaftsunternehmen. Ihre Einnahmen sind weitgehend durch Pflegekassen und gesetzliche Vorgaben fixiert(Planwirtschaft). Gleichzeitig steigen die Ausgaben für Strom, Heizung, Lebensmittel, medizinische Produkte, Personal. Die Kalkulation vieler Einrichtungen gerät ins Wanken. Rücklagen? Meist nicht vorhanden. Überschüsse? Fehlanzeige. Kurzfristig bleibt oft nur ein Mittel: Sparen oft in der Vergangenheit bei Personal, Fortbildung oder Ausstattung.

2. Reale Einkommensverluste beim Personal

Zwar wurden in den letzten Jahren die Gehälter im Pflegebereich schrittweise angepasst. Doch die Inflationsraten haben viele dieser Erhöhungen wieder aufgefressen. Pflegekräfte erleben, dass am Monatsende trotz Lohnerhöhung weniger übrig bleibt. Das frustriert – und verstärkt die Abwanderung aus dem Beruf. Wer kann, orientiert sich um. Der ohnehin dramatische Fachkräftemangel spitzt sich weiter zu.

3. Nachwuchs bleibt aus

Pflege braucht Menschen aber die Branche verliert an Attraktivität. Die wirtschaftliche Unsicherheit, schlechte öffentliche Wahrnehmung und ein überlastetes System schrecken junge Menschen ab. Ausbildungszahlen stagnieren oder sinken. Ausbildungsbetriebe berichten von unbesetzten Stellen, obwohl die Nachfrage nach Pflegeleistungen stetig steigt.

4. Investitionen bleiben aus

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wird gespart und zwar zuerst bei den Dingen, die nicht sofort Ertrag bringen oder die in Ihrer Konsequenz nicht erfasst werden (Social Return on Investment). In der Pflege bedeutet das: weniger Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur, Fortbildung oder moderne Arbeitszeitmodelle. Dabei wären genau diese Dinge entscheidend, um den Beruf attraktiver zu machen und langfristig Personal zu halten.

Lesen Sie hier meinen ersten Blogbeitrag zum Social-Return-on-Investment:

5. Pflegelandschaft droht auseinanderzubrechen

Ambulante Dienste, kleinere stationäre Einrichtungen oder gemeinnützige Träger geraten zunehmend unter Druck. Insolvenzgefahr ist real. Gleichzeitig steigen die Anforderungen: Immer mehr Pflegebedürftige, immer höhere Erwartungen von Angehörigen, zunehmender Bürokratieaufwand. Wenn politisch nicht gegengesteuert wird, könnte die wohnortnahe Versorgung in vielen Regionen bald Geschichte sein.

6. Zahlungsunfähige Kommunen denen der völlige Kollaps droht. Dadurch verzögern sich Zahlungen der Sozialhilfeträger weiter oder bleiben im schlimmsten aller Fälle aus.

Was müssen Politik und Verantwortliche jetzt tun?

Die Pflege ist systemrelevant, das hat die Pandemie deutlich gezeigt. Doch Worte reichen nicht mehr aus. Es braucht entschlossene und wirtschaftlich fundierte Maßnahmen, um das System zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen.

1. Preisgleitklauseln in der Refinanzierung:
Pflegeeinrichtungen müssen in der Lage sein, auf Preissteigerungen kurzfristig zu reagieren. Die Finanzierung durch Pflegekassen muss dynamischer werden mit regelmäßiger Anpassung an die Inflation.

2. Steuerliche Entlastung für Pflegebetriebe:
Pflege ist kein Geschäft im klassischen Sinn. Bürokratische und steuerliche Hürden gehören auf den Prüfstand. Eine temporäre Reduzierung der Umsatzsteuer auf Pflegeleistungen oder gezielte Investitionsanreize könnten helfen.

3. Investitionsoffensive Pflegeinfrastruktur:
Der Staat muss mit einem gezielten Programm in die Modernisierung von Pflegeeinrichtungen investieren insbesondere in Digitalisierung, Personalentwicklung und Energieeffizienz.

4. Stärkung der Ausbildung:
Ausbildungskapazitäten müssen ausgebaut und finanziell abgesichert werden. Gleichzeitig braucht es eine bundesweite Informationskampagne, um das Berufsbild Pflege neu zu positionieren weg vom Notfall, hin zum Beruf mit Zukunft.

5. Flexibilisierung der Arbeitsmodelle:
Pflegekräfte brauchen familienfreundliche Arbeitszeiten, verlässliche Dienstpläne und echte Mitbestimmung. Nur so lassen sich Fachkräfte binden und neue gewinnen. Dafür muss auch die Personalstärke überdacht werden.

Fazit: Pflege braucht jetzt wirtschaftspolitische Priorität

Stagflation ist mehr als ein konjunktureller Ausreißer sie gefährdet ganze Versorgungsbereiche. Die Pflegebranche kann sich keine weiteren Krisen mehr leisten. Wer heute nicht investiert, riskiert morgen einen Systemkollaps mit verheerenden Folgen: für Patienten, für Angehörige und für die gesamte Gesundheitsversorgung in Deutschland.

Für Geschäftsführer in der Pflegebranche und politische Entscheider bedeutet das: Jetzt ist Führung gefragt. Wer jetzt handelt, stabilisiert nicht nur die Branche, sondern schützt auch ein zentrales gesellschaftliches Gut.

Anmerkung:

Leider sehe ich in dem „Sondervermögen“ kein solches Konjunkturpacket wie für die Rüstugsindustrie, die nicht wie die Pflege mit dem Rücken an der Wand steht.

Schreibe einen Kommentar