Der Pflegesektor steht unter Druck und das nicht erst seit gestern. Steigende Personalkosten, zunehmende Dokumentationspflichten, Personalmangel und knappe Budgets drücken viele stationäre und ambulante Pflegeanbieter an den Rand der Zahlungsunfähigkeit. Kein Wunder, dass das Wort „Insolvenz“ inzwischen häufiger fällt als „Pflegedokumentation“.
Aber: Es gibt eine Lösung, die vielen Verantwortlichen in der Pflege bislang wenig bekannt ist, der Gesamtversorgungsvertrag.
Die Möglichkeit dazu gibt es schon geraume Zeit nur genutzt werden sie kaum. Sektorengrenzen, unflexible Kostenträger und zu wenig kampfeslustige Pflegeanbieter haben das bis jetzt verhindert.
Was sich zunächst nach einem bürokratischen Monster anhört, kann in Wirklichkeit der rettende Anker sein. Ein Gesamtversorgungsvertrag (GVV) bringt Sicherheit, Planbarkeit und neue Chancen – gerade für Anbieter, die wirtschaftlich mit dem Rücken zur Wand stehen. In diesem Blogbeitrag zeigen wir, warum das so ist und wie Pflegeanbieter konkret davon profitieren können.
Was ist ein Gesamtversorgungsvertrag?
Ein Gesamtversorgungsvertrag ist ein vertragliches Konstrukt zwischen einem Pflegeanbieter und einem Träger, meist ein Sozialhilfeträger oder eine Kommune, bei dem die vollständige Versorgung einer bestimmten Personengruppe oder Einrichtung durch einen Anbieter geregelt wird. Das kann beispielsweise ein Heim sein, das exklusiv die Pflege für alle Bewohner einer bestimmten Einrichtung übernimmt, oder ein ambulanter Dienst, der für ein bestimmtes Quartier oder für alle Pflegebedürftigen eines Trägers zuständig ist.
Die rechtliche Grundlage ist: .
SGB XI § 72 Abs. 2 – Gesamtversorgungsvertrag
Der Clou: Die Vergütung ist oft pauschaliert oder zumindest langfristig kalkulierbar, sodass der Anbieter mit stabilen Einnahmen rechnen kann – unabhängig von Auslastungsschwankungen oder spontanen Krankheitsausfällen.
Warum sind Gesamtversorgungsverträge gerade jetzt so wichtig?
Pflegeanbieter kämpfen an mehreren Fronten. Besonders schmerzhaft: die wirtschaftliche Unsicherheit. Wer heute eine Einrichtung betreibt, kann morgen schon in den roten Zahlen stecken – trotz hoher Nachfrage. Klingt paradox, ist aber Realität. Der Grund: Das Finanzierungssystem ist komplex, und Pflegevergütungen decken oft nicht die tatsächlichen Kosten. Hinzu kommen steigende Energiepreise, Inflationsdruck und ein akuter Fachkräftemangel.
Insolvenzgefahr ist kein hypothetisches Szenario mehr sie ist für viele Realität. Und hier setzt der Gesamtversorgungsvertrag an. Er schafft wirtschaftliche Planbarkeit. Statt in einem undurchsichtigen Mix aus Einzelleistungen, Pflegegraden und variablen Tagessätzen zu rudern, bekommt der Anbieter ein klares Versorgungsmandat oft gekoppelt mit festen Einnahmen. Und das kann den Unterschied machen zwischen Untergang und Überleben.
Die Vorteile auf einen Blick
1. Finanzielle Stabilität
Ein GVV sorgt für gesicherte Einnahmen. Meist gibt es eine monatliche Pauschale, unabhängig davon, wie viele Einsätze tatsächlich gefahren werden oder wie viele Betten gerade belegt sind.
2. Planungssicherheit
Wer weiß, wie viel Geld regelmäßig reinkommt, kann besser planen – sei es beim Personaleinsatz, bei Investitionen oder in der Weiterentwicklung von Angeboten.
3. Bessere Verhandlungsposition
Ein Anbieter mit einem GVV ist kein Bittsteller mehr, sondern ein systemrelevanter Partner. Das wirkt sich auch auf Gespräche mit Banken oder Investoren positiv aus.
4. Entlastung bei Bürokratie
Gesamtversorgungsverträge gehen oft mit vereinfachter Dokumentation einher – weniger Aufwand, mehr Zeit für echte Pflege.
5. Stärkere Bindung an Träger
Ein GVV ist ein Vertrauensvertrag. Wer ihn hat, ist enger mit seinem Auftraggeber – etwa dem Sozialhilfeträger – verbunden. Das schafft Rückhalt und manchmal auch Zugang zu zusätzlichen Ressourcen.
Es stellt sich die Frage: Warum gibt es bis dato so wenige von diesen Verträgen? Die Antwort, weil die Kostenträger es verhindern und zwar aktiv.
Für wen eignet sich ein Gesamtversorgungsvertrag?
Besonders interessant sind GVV für Pflegeanbieter, die in strukturschwachen Regionen tätig sind, mit geringer Auslastung kämpfen oder von Kostenträgern unter Druck geraten sind. Auch Träger, die mehrere kleine Einrichtungen oder ambulante Dienste betreiben, können von einem übergreifenden GVV profitieren.
Ein Beispiel: Eine diakonische Einrichtung mit mehreren Pflegeheimen in einer ländlichen Region muss wirtschaftlich konsolidieren. Statt drei Einrichtungen einzeln zu betreiben, schließt sie mit dem Landkreis einen Gesamtversorgungsvertrag und betreibt fortan eine zentrale Einrichtung mit klar kalkulierbarem Auftrag. Ergebnis: weniger Verluste, mehr Sicherheit.
Wie kommt man zu einem Gesamtversorgungsvertrag?
Das Zauberwort heißt Kooperation. Pflegeanbieter sollten proaktiv auf die kommunalen Träger, Sozialhilfeträger oder auch Krankenkassen zugehen. Wichtig ist, ein überzeugendes Konzept zu präsentieren: Was kann der Anbieter leisten? Wie wird die Versorgung sichergestellt? Welche Qualität wird garantiert?
In vielen Fällen ist auch rechtliche Beratung sinnvoll. Denn ein GVV ist kein Standardvertrag, sondern wird individuell ausgehandelt. Aber der Aufwand lohnt sich – gerade, wenn die Alternative Insolvenz heißt.
Fazit: Mehr Mut zu neuen Wegen
Der Pflegemarkt braucht kreative Lösungen und Gesamtversorgungsverträge sind eine davon. Wer heute wirtschaftlich unter Druck steht, muss nicht aufgeben, sondern kann neue Wege gehen. Ein GVV schafft Spielraum, Vertrauen und Stabilität. Natürlich ist der Weg dahin nicht immer einfach, aber er lohnt sich.
In einer Zeit, in der Insolvenzen im Pflegebereich zur bitteren Realität werden, ist der Gesamtversorgungsvertrag kein Wundermittel, aber ein echter Hoffnungsträger. Und das Beste: Er bringt Pflegeanbieter und Kostenträger an einen Tisch mit dem gemeinsamen Ziel, Versorgung zu sichern und Existenzen zu retten.
Kurz gesagt: Wenn Sie als Pflegeanbieter wirtschaftlich wackeln sprechen Sie über einen Gesamtversorgungsvertrag. Er könnte Ihre Lebensversicherung sein.
Vertiefende Quellen:
3. Bundestagsdrucksachen
BT-Drucksache 20/10990: Betont, dass GVV als Vertragsform die quartiersnahe Versorgung sichern kann und organisatorische Synergien fördert .
BT-Drucksache 16/7439 (Gesetzentwurf Pfleg-WG): Legt bereits 2007 Grundsteine für integrierte Versorgungsformen und GVV im Pflegerecht.
Muster-Gesamtversorgungsvertrag des VDEK
Der Verband der Ersatzkassen (vdek) stellt einen detaillierten Mustervertrag zur Verfügung – u. a. mit verbindlichen Regelungen zu:
zulassungspflichtigem Versorgungsauftrag (§1–2),
Vergütung nach SGB XI Rahmenverträgen (§3),
Abrechnung (§7),
Kündigung nach §74 SGB XI (§10),
Datenschutz (§9) .